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Ehe für alle!

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Ich bin eben zurück aus den Vereinigten Staaten, meine Damen und Herren, und das amerikanische Fernsehen wird stets von drei bis vier Themen dominiert, und alles andere passiert am Rande. Aktuell sind das der Mordprozess um Jodi Arias, die Kriegsdrohungen dieser tragischen und hysterischen Witzfigur aus Nordkorea, die Rückkehr der «Tonight Show» nach New York City und die nie-endenwollende Michael-Jackson-Saga: Familie Jackson, offenbar nur geringfügig weniger crazy als die Diktatorensippe Nordkoreas, hat den Konzertveranstalter AEG auf 43 Milliarden (!) Dollar verklagt, weil sie diesem mehr oder weniger die Schuld am Tode Michael Jacksons gibt, und gleichzeitig strengt Conrad Murray, der Propofol-Arzt des King of Pop, ein Revisionsverfahren an und gab aus dem Gefängnis ein Interview für Anderson Cooper von CNN, in dem Dr. Murray unter anderem zu singen begann. Crazy. Crazy doesn’t even begin to describe it.

Doch es brennt ein Licht, eine Fackel hoch über allem. Denn das Hauptthema in der öffentlichen Debatte der USA ist gegenwärtig: Gay Marriage. Die Homo-Ehe. Vor dem Supreme Court, dem höchsten Gericht der USA, haben gerade zwei Anhörungen stattgefunden, eine im Verfahren gegen die sogenannte Proposition 8, den Bann gegen Homo-Hochzeiten im Bundesstaat Kalifornien, und eine im Verfahren gegen den wahrheitswidrig betitelten «Defense of Marriage Act» (DOMA), jenes Bundesgesetz, das «Ehe» definiert als Verbindung zwischen Mann und Frau. Ex-Präsident Clinton, der dieses Gesetz 1996 im Zuge eines Deals mit den Republikanern unterschrieb, hat sich bereits davon distanziert, ebenso wie seine Frau Hillary in einer Videobotschaft, mit der sie sich nach Einschätzung vieler Sachverständiger für das Rennen um die Präsidentschaftskandidatur 2016 in Stellung brachte. Präsident Obama, der in seiner Rede zum Beginn seiner zweiten Amtszeit den Freiheitskampf der Homos zusammen mit den Emanzipationsbewegungen der Schwarzen und der Frauen gewürdigt hat, und seine Administration verzichten darauf, DOMA vor Gericht zu verteidigen.

United We Stand

Und: Alle sind dafür. Für die Homo-Ehe. Das ganze Land ist der Meinung, die Sie oben auf dem Billboard sehen, das ich in Chicago auf dem Weg zum Flughafen für Sie fotografiert habe: Marriage For All. Die üblichen ideologischen Grabenkämpfe, die die amerikanische Gesellschaft gerade bei vermeintlich moralischen Fragen auszeichnen, finden quasi nicht statt. Dick Cheney ist für die Homo-Ehe, ebenso Laura Bush und Colin Powell. Sogar Fox News und Bill O’Reilly haben nichts dagegen. Es ist bemerkenswert und beeindruckend, wie sehr sich die öffentliche Meinung in den USA in nur einem halben Jahrzehnt gewandelt hat – getreu jenem Victor Hugo zugeschriebenen Ausspruch: Nichts ist so stark wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Nun kann man wieder an alles glauben, was so wunderbar ist an Amerika: land of the free, home of the brave.

Die Klägerin gegen DOMA ist Edie Windsor, 83, die 44 Jahre lang mit ihrer Ehefrau Thea Spyer in New York City lebte. 2007 heirateten die beiden in Kanada. 2009 verstarb Spyer, und weil die US-Bundesbehörden die Ehe nicht anerkannten, wurden Edie Windsor knapp 400,000 Dollar an Erbschaftssteuern berechnet. Deshalb ging sie bis vor den Supreme Court. Edie Windsor ist reich, elegant und vor allem cool. «Calm Center in a Legal and Political Storm», nannte sie die «New York Times»in einer Überschrift. Als sie von Journalisten gefragt wurde, was sie von der Anhörung hielt, erwiderte sie lächelnd: «Ich bin halb taub.» Als sie vor die Menschenmenge vor dem Supreme Court trat, sagte Edie Windsor in die Mikrophone: «Hi. I’m Edie Windsor, and somebody wrote me a large speech which I’m not going to make.»

Achtung, Schweiz!

Edie Windsor vertritt gelassen und souverän die richtige Sache: Equal Protection, die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz. Denn nichts ist stärker als eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Wir aber müssen aufpassen. Ich habe in diesem Magazin, meine Damen und Herren, schon häufiger darauf hingewiesen, dass wir hier, in unser schönen Schweiz, einst eine liberale Feste in Europa, aufpassen müssen, dass wir mit unserem altbackenen, diskriminierenden Rechtsinstitut der sogenannten «Eingetragenen Partnerschaft» nicht vom Fortschrittszug abgekoppelt werden. Wie klein wirkt neben der grazilen Frau Windsor ein Provinzgeist wie Christophe Darbellay, der Homos mit Kokainkonsumenten verglichen hat, mit seiner CVP, die mit einer wahrheitswidrig betitelten Initiative «Für Ehe und Familie» unter dem Vorwand, die betrübliche steuerliche Benachteiligung verheirateter Paare abzuschaffen, die Ehe als ausschliessliche Verbindung von Mann und Frau auf Verfassungsebene festschreiben will. Übrigens müssen beruflich Selbständige seit Beginn dieses Jahres zwangsweise eine Familienabgabe an die Sozialversicherungsanstalt entrichten, auch wenn sie Homos sind, ihnen also die Adoption gesetzlich verboten ist. Warum steht keine Homo-Organisation dagegen auf? Warum erklärt stattdessen ein überangepasster schwuler Lokalpolitiker wie der Stadtzürcher Gemeinderat Markus Hungerbühler, CVP-Parteipräsident unserer schönen Limmatstadt, zur Diskriminierungsinitiative seiner Partei: «Da wird wieder etwas künstlich hochgekocht. Für das Ziel einer gleichgeschlechtlichen Ehe wird man diesen Satz auch wieder ändern können.»

Der republikanische Senator für Ohio, Rob Portman, hingegen erklärte Mitte März, er habe seine Meinung gegenüber der Homo-Ehe revidiert, denn sein Sohn sei schwul, und er könne eine Ablehnung einfach nicht mehr vertreten. Damit umschrieb er jenen einfachen, einleuchtenden, humanen Gedanken, der unlängst auf NBCs «Meet the Press» zu hören war: The point of marriage is not procreation, but love and commitment.


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